Wein, wie vor 200 Jahren

Reben vor der Reblausplage

Napoleon III rief im Jahr 1855 die Klassifizierung der Bordeaux-Weine aus, ein Meilenstein in der Weinkultur. Änderte das den Rebanbau grundlegend? Nicht allein, da aus der neuen Welt die Reblausplage Europas Weinhänge nieder gehen ließ. Innerhalb einiger Jahre konnte die eingeschleppte Reblaus ganze Weinregionen nieder ringen. Es wurde verzweifelt nach Lösungen gesucht, der gesamte europäische Weinbau war bedroht. Die Lösung fand sich mit dem Aufpropfen von guten Reben auf kalifornische Wurzelstöcke. Diese sind gegen die Reblaus sehr resistent, womit auch der aufgepropfte Teil vom Rebstock profitiert.

Mit der Veredelung der Rebstöcke wurde zugleich der Ertrag gesteigert. Insgesamt änderte sich vermutlich die Qualität vom Wein, leider zum schlechteren. Das besagen zumindest alte Schriften aus dem Jahr 1904. Der Intendant von Chateau Margaux erklärt, dass die Qualität vom einstigen Wein vergangen ist.

Viele alte Reben gibt es noch, sie sind jedoch sehr selten. Loic Pasquet erwarb kurz nach der Jahrtausendwende drei Hektar Land, welche ein Stück südlich von Bordeaux liegen. Hier stockt er die alten Rebsorten auf, die mit Glück noch lange die eingeschleppte Reblaus überstehen. Die Erträge sind jedoch gering, der Wein allerdings sehr gut. Schon jetzt gehört der „Liber Pater“ mit einem Jahrgang zu den teuersten 50 Weinen weltweit. 3.700 Euro kostet die Flasche, Platz 1 kommt mit einem Romanee-Conti auf über 16.000 Euro. Loic Pasquet ist sich siegessicher, dass sein Liber Pater in nur fünf Jahren den Romanee-Conti überholt.

Liber Pater wäre damit eine gute Investition für das gehütete Weinregal? Möglicherweise könnte Loic Pasquet recht haben. Seine Aussagen müssen jedoch nicht stimmen, er bewirbt seinen eigenen Wein immerhin massiv und geblümt, um die Preise weiter nach oben zu treiben. Wer mit Renditeweinen klimatisierte Weinregale füllt, der kann dennoch über den Kauf nachdenken. Wenn Rebstöcke, die gerade einmal 14 Jahre alt sind, es laut dem neuseeländischen Internetportal „Wine Searcher“ unter die 50 teuersten Weine Weltweit schaffen, dann ist nach Oben jede Menge Spielraum, solange es nicht die Reblaus zunichte macht. Immerhin wird auf den Weinhängen von Loic Pasquet auf Spritzmittel verzichtet, wie lange mag das gut gehen?

Wer seinen Liber Pater als Renditeobjekt in seinem Weinregal verstauben lässt, der wird niemals in Erfahrung bringen, wie denn Wein vor der Reblausplage geschmeckt haben könnte. Liber Pater scheint bislang der einzig kommerziell produzierte Wein zu sein, der dieses Kriterium erfüllt. Der Weinkenner muss derzeit schon tief genug in die Tasche greifen, um diesen Geschmack zu erleben. Möglicherweise ist es jedoch heute noch erschwinglich? Ein Geschmacksprofil liegt hier leider noch nicht vor, es scheint sich jedoch zu lohnen.

Zum Schluss stellt sich jedoch eine Frage: Wenn der Anbau von Wein vor der Reblausplage wegen geringerer Erträge noch mehr Arbeitszeit verschlang, der Wein jedoch das Getränk der Antike und auch des Mittelalters war, wie konnten die Menschen einst so große Mengen davon produzieren, dass es für alle reichte?

Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article181427162/Liber-Pater-Loic-Pasquet-will-Wein-von-1855-wiederentdeckt-haben.html

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