Bittere Traubenkerne platzen nicht
Wer sich schon einmal aus historischem Blickwinkel mit der Weinproduktion befasst hat, dem dürfte das Stampfen der Weinbeeren als Verarbeitungsschritt bekannt sein. Vielfach wird angenommen, dass es einst der einfachste Weg war, um die Weinbeeren zu zerdrücken, womit die Maische anschließend gegoren werden kann. Doch eine mechanische Zerkleinerung der Weinbeeren wäre bereits mit zwei genoppten Walzen möglich, die sich fortwährend drehen.
In der portugiesischen Weinbaugegend Douro wurde in den 1950er Jahren nach und nach die Herstellung von Portwein auf Edelstahltanks und modernere Produktionstechniken umgestellt. Doch inzwischen stampfen die Winzer ihren Wein wieder mit den Füßen. Eine Erklärung lautet, dass mit nackten Füßen niemals die bitteren Traubenkerne zerquetscht werden. Der Wein, dessen Gärung mit 77%igen Brandy abgebrochen wird, womit es Portwein ist, schmeckt wesentlich besser, wenn die Weinbeeren mit Füßen gestampft werden.
Es wird gewiss weitere gute Gründe geben, weswegen das Stampfen der Weinbeeren einen anderen Wein zustande bringt, als eine maschinelle Verarbeitung. Theoretisch müssten die genoppten Walzen nur mit einem lebensmittelechten Weichkunststoff beschichtet werden, womit die Traubenkerne nicht mehr platzen. Wenn die Weintrauben in einem großen Bottich aus Holz, oder wie in Portugal in einem großen Becken aus Granit mit mehreren Personen gestampft werden, dann atmet die Maische sowie das Traubengerippe oder andere Bestandteile länger auf die später vergorene Maische einwirken.
Wäre am Weinstampfen nichts dran, dann würden nicht nur die Portugiesen davon ablassen. Es handelt sich definitiv nicht um einen Marketinggag, da viele dieser Weine oder auch Portweine sehr günstig in den Handel gehen. Auch deswegen sind Weine und Portweine aus Douro eine Bereicherung für jedes Weinregal. Wer die Gelegenheit hat und Experimentierfreudig ist, der kann einfach mal einen guten Wein aus dem Weinregal seines Händlers wählen, dessen Weinbeeren mit den Füßen gestampft wurden. Die Winzer und ihre Helfer waschen sich vor dem Stampfen die Füße und gehen sehr hygienisch vor.
Für deutsche Verhältnisse ist das Stampfen mit den Füßen untypisch und wäre wirklich als Marketinggag zu bewerten. Und auf großen Weingütern für Massenweine würde es gar nicht genug Bottiche, Granitbecken oder Füße geben, um diese Mengen noch zu stampfen. Bei einem kleinen Bottich aus Holz sind die Weinbeeren schnell gestampft. Doch in Portugal sind die Becken aus Granit locker über 10 m² groß und werden bis über die Knie mit Weintrauben gefüllt. Für einen Durchgang können mehrere Personen einige Stunden den Wein stampfen. Die Weintrauben nach und nach in einen Trichter zu geben und die Walzen zu betätigen, wäre also schon im Mittelalter schneller gegangen.
Wer wissen möchte, ob sein Wein oder Portwein mit Füßen gestampft wurde, der muss schon aus speziellen portugiesischen, französischen oder italienischen Weinregionen von kleinen Weingütern kaufen oder einen guten Weinhändler haben, der solche Fragen beantworten kann. In den meisten Fällen wird es nicht auf den Weinflaschen stehen, sowie eine entsprechende EU-Verordnung kaum zu erwarten ist. Wer weiß, ob er nicht bereits einige gute Tropfen in seinen Weinregalen hat, die mit Füßen gestampft wurden.
Quelle: https://glossar.wein-plus.eu/stampfen
https://kurier.at/genuss/douro-wo-sie-den-wein-mit-fuessen-treten/756.816
https://munchies.vice.com/de/article/7x4yzb/warum-menschliche-fuesse-den-besten-portwein-machen